Nachwort

Die Pandemie schaffte ihre Mythen: Die Gesundheit stand plötzlich über allem. Auf einmal war alles andere verzichtbar: Kunst, Kultur und Sport, Wissenschaft und Bildung, so kennzeichnete ein Kommentator der „Süddeutschen Zeitung“ die Situation in der Pandemie. Apodiktisch wurden alle gesellschaftlichen Bereiche unterschieden in »systemrelevant« und »nicht systemrelevant«. Der Gemeinschaft wurde Distanz verordnet und der freundliche Nachbar wurde zum virologischen Blockwart, der im Treppenhaus die Besucher zählte. Die Gesellschaft ging auf Abstand und forderte ihn auch offensiv ein. Infantile Piktogramme mahnten: »Mit der AHA-Formel durch’s Jahr«.1

Jeder wurde zur gefährlichen Keimschleuder und zum potentiellen Krankheitsüberträger. Wer sich nicht impfen lassen wollte, wurde öffentlich als Pandemietreiber gegeisselt. Und der damalige Gesundheitsminister Karl Lauterbach trieb die schwarze Pädagogik demagogisch auf die Spitze, als er in der Plenardebatte im Deutschen Bundestag am 10.12.2021 unwidersprochen ungeimpfte Pflegekräfte für den Tod der ihnen anvertrauten Menschen verantwortlich machte.2

Schon damals stellte sich die Frage: Wie hoch soll der Preis eigentlich sein, den eine aufgeklärte Zivilgesellschaft für die vermeintliche Eindämmung eines Virus, über dessen tatsächliche Pathogenität wir immer noch keine verlässliche Aussage haben, aufzubringen hat? Doch der jeweilige Fragesteller sah sich schnell geächtet. Schließlich seien die Alten und Schwachen zu schützen.

1https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Gesundheit/Flyer_Poster_etc/Corona/AHA-Formel_Blau-Rot_barr_V2.pdf
2 Siehe: https://www.youtube.com/watch?v=CVQ5t25I3Sg ab Min.7:40

Vor den Besuchen ihrer Angehörigen in den Pflege- und Altenheimen haben wir sie geschützt, unsere Alten und Schwachen, aber wo bleibt der Schutz jenseits von Corona? Wer schützt sie nach langem Arbeitsleben vor Niedrigrenten und Altersarmut und wer nimmt ihnen die Sorge, den Platz im Pflegeheim nicht mehr finanzieren zu können? Mit einem zutiefst verlogenen Moralismus hat man ihnen ihr Selbstbestimmungsrecht geraubt, sie zum vermeintlichen Eigenschutz in Isolationshaft genommen und nicht wenige hat man in der verordneten Einsamkeit sterben lassen. Aus Furcht wovor?

Noch so ein Mythos: Schließlich habe unsere Solidarität auch den Pflegekräften in den Krankenhäusern zu gelten, die in der Pandemie Übermenschliches leisteten. Übermenschliches leisten viele Pflegekräfte in den Heimen und den Krankenhäusern seit Jahren. Und seit Jahren verweisen sie auf die zu geringe Bezahlung, ihre schlechten Arbeitsbedingungen und das fehlende Personal in ihren Häusern. Lange vor Corona wurde der Begriff der »gefährlichen Pflege« geprägt. Der inszenierte Applaus von den Balkonen im Prenzlauer Berg war wohlfeil. Konsequenzen wurden nicht gezogen. Die so forsch postulierte Solidarität in Zeiten der Krise war ein Lippenbekenntnis. Die Kolleginnen und Kollegen in den Krankenhäusern arbeiten weiterhin mehr schlecht als recht bezahlt zu den gleichen Bedingungen wie vor Corona.

Nein, die Gesundheit geht nicht vor in diesem Land und nein, ihr Schutz steht nicht über allem. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit geniesst keinen Vorrang in unserer Verfassung. Der Artikel 1 des Grundgesetzes lautet schlicht und einfach: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Das gilt auch und gerade in den Zeiten einer Pandemie.

PS:
Die Mittel für die Berliner Krankenhäuser wurden aktuell im neuen Haushaltsentwurf um 29 Millionen Euro gekürzt.