Die Chronik einer Farce
Corona-Behandlungszentrum auf dem Berliner Messegelände
Entscheidung ohne Bedarfsprüfung
Am 17. März 2020 fasste der Berliner Senat auf seiner turnusmäßigen Sitzung den Beschluss, auf dem Messegelände der Stadt in Berlin-Charlottenburg an der Jafféstraße ein sogenanntes „Corona-Behandlungszentrum“ (CBZJ) mit bis zu 1.000 Betten als „Überlaufklinik“ einzurichten.1 Für den Aufbau wurden kurzfristig 45 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt zur Verfügung gestellt.2
Auf der anschließenden Landespressekonferenz begründete die zuständige Gesundheitssenatorin die Entscheidung des Senats als „Vorsichts- und Vorsorgemaßnahme“ und erklärte, das Krankenhaus solle in Zusammenarbeit mit der Bundeswehr entstehen, ein entsprechendes Amtshilfeersuchen werde auf den Weg gebracht. Nähere Angaben, auch zur Rolle der Bundeswehr, konnte die Senatorin auf Nachfrage der Pressevertreter zunächst nicht machen. Es sei ein Projekt mit vielen Partnern. Auch die öffentlichen Krankenhäuser seien im Boot.
Wörtlich sagte sie: „Heute haben wir einfach das beschlossen.“ Alles Weitere läge in den Händen des Projektleiters.3
Eine Woche zuvor, am 10. März 2020, hatte der Senat erstmals drei Vertreter der Berliner Charité, den Vorstandsvorsitzenden Prof. Dr. Heyo Kroemer, das Vorstandsmitglied Prof. Dr. Ulrich Frey und den Virologen Prof. Dr. Christian Drosten als Experten zu einer Senatssitzung dazu gebeten, um mit ihnen über die Corona-Situation in der Stadt zu sprechen.
Vertreter des landeseigenen Klinikkonzerns Vivantes, der acht Krankenhäuser mit rd. 6.000 Betten in der Stadt betreibt, waren zu dieser Sitzung nicht geladen.4
Über eventuelle Pläne, ein besonderes „Corona-Behandlungszentrum“ als Reservekrankenhaus zu errichten, wurde auf dieser Sitzung explizit nicht gesprochen.5 Offensichtlich ging die Initiative dazu ohne jede vorherige Rücksprache von der Senatsverwaltung für Gesundheit unter der verantwortlichen Senatorin Dilek Kalayci (SPD) aus.
Die Begründung: Mit Blick auf die Entwicklung des Pandemiegeschehens müsse ein Überlaufen der Berliner Plankrankenhäuser mit stationär behandlungsbedürftig Covid-19 Erkrankten verhindert werden.6
In einem Interview mit dem RBB prophezeite Kalayci, selbst das gut aufgestellte Berliner Gesundheitssystem werde unter der Pandemie an seine Grenzen stoßen.7 Es gelte jetzt „Engpässe in der klinischen Versorgung zu verringern“.8
Diese „Engpässe“ hat es in Berlin zu keinem Zeitpunkt gegeben.
1 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 19/20059, S.2
2 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 19/18439, S.2
3 https://www.youtube.com/watch?v=aiBEuExWjNI , Aufzeichnung ab Minute 23:10
Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 19/19562, S.1f
5 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS S19/20059, S.2
6 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 19/20059, S.2
TAZ vom 23.3.2020: „ Corona-Notkrankenhaus in Berlin: Tausend Betten für den Ernstfall 7
8 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 19/18439, S.1
9 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 19/20058, S.1
10 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 19/18439, S.2
Noch im Nachhinein rechtfertigt die Senatsverwaltung ihr damaliges Vorgehen mit demselben Narrativ. Die Entwicklung des Pandemiegeschehens und das Ansteigen der Infektionszahlen hätten die Entscheidung vom 17. März 2020 geboten. Für diese Entscheidung sei zudem nicht das konkrete Pandemiegeschehen in der Stadt Berlin ausschlaggebend, sondern die „besondere Situation des weltweiten Pandemiegeschehens und deren Auswirkungen für die Menschen in Berlin“.9
Aufgabe des Senats sei es in dieser Situation gewesen „unverzüglich notwendige Vorsorgemaßnahmen zu treffen, darunter auch der Aufbau des ‚Corona-Behandlungszentrums‘ in der Jafféstraße“.10
Bei der Entscheidung sei auch zu beachten gewesen, dass Berlin als Ballungsraum Anlaufstelle für die gesundheitliche Versorgung für Menschen der umliegenden Flächenländer sei. Man habe zum damaligen Zeitpunkt den für die Bevölkerung unabsehbar schweren Folgen einer Überlastung der regulären Krankenhäuser begegnen müssen.11
Zum Zeitpunkt der Senatsentscheidung am 17. März zählte das Robert Koch-Institut (RKI) in seinem Corona-Lagebericht vom Tage weltweit außerhalb Chinas 100.375 laborbestätigte Covid-19-„Fälle“. Tatsächlich aber handelt es sich dabei nicht um klinisch symptomatische „Krankheitsfälle“, wie die Wortwahl suggeriert, sondern um die Zahl der durchgeführten Tests mit einem positiven Corona-Nachweis – unabhängig davon, ob bei der betreffenden Person klinische Symptome vorlagen oder nicht.
Im selben Lagebericht wird die Gesamtzahl der Personen mit einem laborbestätigten positiven Corona-Nachweis in Deutschland aus allen 16 meldenden Bundesländern mit insgesamt 7.156 „Fällen“ angegeben.12 Der Lagebericht enthält keine Angaben zur Anzahl der Menschen, die zu diesem Datum aufgrund einer symptomatischen Covid-19-Erkrankung stationär behandelt wurden.
In der Millionenstadt Berlin gab es zu diesem Zeitpunkt 383 registrierte Corona-„Fälle“. In den Berliner Krankenhäusern lagen 21 Patienten mit positivem Corona-Befund. Allerdings ist nicht bekannt, unter welcher Hauptdiagnose diese Personen aufgenommen wurden. Der Senat kann dazu keine Angaben machen. Er ist bis heute nicht in der Lage, die Zahl der tatsächlich klinisch-symptomatischen Covid-19-Patienten in den Berliner Krankenhäusern zu nennen.13
Auch die Verweildauer auf den Intensivstationen hat sich während der Pandemie nicht wesentlich verändert. Sie lag im Vergleichsjahr 2019 bei durchschnittlich 11,5 Tagen4, 2020 bei 11,8 Tagen5 , 2021 bei 12,5 Tagen6 und 2022 bei 11,3 Tagen7.
Auch die Zahl der der Behandlungsfälle in der Intensivmedizin hat in den Pandemiejahren nicht zugenommen. Waren es im Vorpandemiejahr 2019 noch 14.725 Fälle8, so blieb die Fallzahl in den Jahren 2020 mit 13.3939, 2021 mit 13.96110 und 2022 mit 13.40611 deutlich unter dem Niveau 2019.
11 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 19/18439, S.2
Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 vom 17.03.2020; 12
abzurufen auf der offiziellen Webseite des RKI
13 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 19/20377, S.2
Aufbau eines Geisterkrankenhauses
Millionen verbaut, Hightech installiert – aber kein einziger Patient.
Der Berliner Krankenhausplan 2020 weist für die Stadt 23.523 Krankenhausbetten aus. Damit waren am 17. März 2020 0,093 % dieser Betten mit „Corona-Patienten“ belegt.
In der 11. Kalenderwoche 2020, der Woche vor der Entscheidung, zusätzliche Behandlungskapazitäten auf dem Messegelände zu errichten, waren in Berlin 9.506 PCR-Testungen durchgeführt worden. Davon waren 398 positiv.
In der 12. Kalenderwoche, in der die Entscheidung fiel, vom 16. bis zum 22. März, waren in Berlin von 19.560 durchgeführten PCR-Tests 1.014 positiv.
In der 14. Kalenderwoche vom 30. März bis zum 5. April wurden 22.597 Tests durchgeführt, von denen 1.610 positiv waren. In der 18. Kalenderwoche vom 27. April bis zum 3. Mai waren es 20.247 Tests mit 709 positiven Ergebnissen.14
Die Zahl der hospitalisierten Patienten gibt der Senat für die 13. Kalenderwoche 2020 mit 339 an, für die 14. mit 458, für die 15. mit 560, für die 16. mit 585, für die 17. mit 553, für die 18. mit 538 und für die 19. Kalenderwoche vom 4. bis zum 10. Mai, unmittelbar vor der „Eröffnung“ des Behandlungszentrums am 11. Mai, mit 479.15
An keinem Tag in dieser Zeit lag die Auslastung der Berliner Krankenhausbetten über 2,5 %.
Im Nachbarland Brandenburg, das im Jahr 2020 nach Angaben des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg über 15.020 Krankenhausbetten in 59 Krankenhäusern verfügte,16 weist der entsprechende Corona-Lagebericht des Gesundheitsministeriums Brandenburg vom 17. März 2020 114 Personen mit einem laborbestätigten positiven Corona-Test aus. Über die Zahl der stationär zu behandelnden Betroffenen macht er keine Angaben.
Ähnlich war die Situation im benachbarten Mecklenburg-Vorpommern. Hier zählt der Lagebericht des Gesundheitsministeriums für den 17. März 69 positiveTestergebnisse17, auch hier werden keine Angaben zur Anzahl der stationären Covid-19-Patienten in den 10.308 Krankenhausbetten in den 38 Krankenhäusern18 des Landes gemacht.
Als das Zentrum nach einem Jahr immer noch keinen einzigen Patienten behandelt hatte, wehrte die Senatorin aufkeimende Kritik rechtfertigend ab, sie rechne schon bald mit Hilferufen aus Brandenburg und Thüringen, wo die Auslastung der Krankenhäuser inzwischen bedenklich sei.19 Die Hilferufe blieben jedoch aus und die Messeklinik blieb weiterhin leer.
Anzumerken ist noch, dass das landeseigene Berliner Krankenhausunternehmen Vivantes in eigener Regie ebenfalls bereits entschieden hatte, in Vorsorge 187 Betten im ehemaligen Krankenhaus Prenzlauer Berg herrichten zu lassen, um ggfs. in den eigenen Strukturen einen höheren Andrang von Patienten bewältigen zu können. Am 12. März 2020 hatte die Gesundheitssenatorin im Rahmen des Besuchs des dortigen Corona-Untersuchungszentrums den Standort der geplanten Reserve-Betten in Anwesenheit der Presse besucht.20
14 Abgeordnetenhaus von Berlin, Rote Nummer 2810 AI, S.14
15 Abgeordnetenhaus von Berlin, Rote Nummer 2810 AI, S.14
16 Amt für Statistik Berlin-Brandenburg: Statistischer Bericht Krankenhäuser im Land Brandenburg 2020 Teil I Grunddaten, S.5
17 Täglicher Lagebericht des LAGuS MV zur Coronavirus-Krankheit-2019 in Mecklenburg-Vorpommern vom 1.4.2020, S.2
18 Statistische Krankenhaus-Daten: Grunddaten der Krankenhäuser 2020, in: Krankenhaus-Report 2023, Berlin-Heidelberg 2023, Open Access, S. 10
19 TAZ vom 14.4.2021: „Notfallzentrum ohne Patienten“
20 Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung: Pressemitteilung vom 12.3.2020: Coronavirus: „Senatorin Kalayci vor Ort bei zwei weiteren Untersuchungsstellen“
Es fehlt bis heute jede schlüssige Erklärung, worin die Notwendigkeit bestand, zusätzliche Bettenkapazitäten in einem solchen Ausmaß in Berlin aufzubauen.
Weder wurde das Szenario eines möglichen „Überlaufens“ der Berliner Krankenhäuser mit klinisch symptomatischen Covid-19-Patienten zu irgendeinem Zeitpunkt vor dem 17. März 2020 in Gesprächen des Senats mit Vertretern der Berliner Charité oder der anderen Berliner Krankenhäuser erörtert, noch haben die Vertreter der Berliner Krankenhäuser den Senat auf eine solche potentielle Überlastung ihrer Kapazitäten hingewiesen und die Vorhaltung zusätzlicher Bettenkapazitäten in Form eines solchen Behandlungszentrums empfohlen oder zu ihrer Entlastung eingefordert.
Vielmehr hatten die Vertreter der Charité in der erwähnten Sitzung des Senats vom 10. März 2020 darauf hingewiesen, dass für eine wirkungsvolle Bekämpfung bzw. Eindämmung des Virus die erforderlichen Ressourcen bereitgestellt werden müssten, die Charité aber über keine zusätzlichen finanziellen und personellen Reserven dafür verfüge.
Ernstgenommen wurde der Hinweis jedoch nicht. Weder die Charité noch die anderen Berliner Kliniken erhielten kurzfristig die erforderlichen Mittel, um diese Ressourcen in den eigenen Strukturen bereitstellen zu können, obwohl entsprechende Gelder ja ganz offensichtlich in der Landeskasse vorhanden gewesen wären.
In seinem panischen Aktionismus hatte der Senat jedes Augenmaß verloren. Trotz der fehlenden Plausibilität ließ er das Behandlungszentrum errichten.
Bundeswehr und Technisches Hilfswerk probten den Ernstfall und stampften das Corona-Behandlungszentrum unter der entsprechenden alarmistischen Begleitung durch die Berliner Medien in kürzester Zeit aus dem Boden.21 Am 31. März war mit den Aufbauarbeiten der sogenannten Messeklinik begonnen worden,22 am 30. April war der Bau auf einer Gesamtfläche von 10.901 m² fertiggestellt.23
3 km Traversen aus dem Messebau waren als Träger für Leitungen und Kabel, für die Elektrik, die IT-Technik und die medizinischen Gase verlegt worden. Dazu 8 km Kupferrohre für Sauerstoffleitungen, 800 m Trinkwasser- und 600 m Abwasserleitungen, 80 km Elektroleitungen und 15 km Netzwerkkabel.
Obwohl das Behandlungszentrum ausdrücklich nur der Übernahme nicht intensiv- oder beatmungspflichtiger Patienten dienen sollte, um ggfs. in den spezialisierten Einrichtungen die Kapazitäten zur Behandlung von schwerstkranken Patientinnen und Patienten freizuhalten,24 waren 118 Beatmungsgeräte bei der Firma Draeger geordert worden, von denen allerdings zunächst nur fünf zu Ausbildungszwecken geliefert wurden.25
An anderer Stelle spricht der Senat von 111 bestellten Geräten, von denen 16 vorab geliefert worden sein sollen.26 Abschließend befragt, wie viele Geräte denn nun tatsächlich vorhanden waren, erklärt der Senat, alle 118 Geräte seien auch geliefert und bezahlt worden und letztlich in den Besitz der Vivantes-Kliniken übergegangen.27
21 Bild vom 20.4.2020: „Hier baut die Bundeswehr Berlins Corona-Klinik auf“
22 Abgeordnetenhaus von Berlin, Rote Nummer h18/2790 H, S.3
23 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 18/27477, S.1
24 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 19/19641, S.1
25 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 19/18439, S.3
26 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 18/25711, S.2
27 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 19/20231, S. 2f
Symbol der Leere
Das große Personalproblem
Feierlicher Empfang, millionenteure Technik – doch wer wirklich Verantwortung trug, war beim Staatsakt unerwünscht.
Auch ein Computertomographie-Gerät war für das Provisorium angeschafft worden. Die Kosten dafür beliefen sich, ohne die zusätzlichen Aufbaukosten, auf rund 1 Million Euro.28
Die Verantwortung für Errichtung und Betrieb wurde dem kommunalen Klinikkonzern Vivantes „übertragen“. Auf Wunsch des Landes Berlin hatte dieser das CBZJ in eigener Trägerschaft gegen eine Kosten- und Aufwandserstattung durch den Senat zu übernehmen.29Beglückt war die Vivantes-Geschäftsführung über diesen „Wunsch“ nicht.
Details des Vertrages zwischen dem Unternehmen und dem Berliner Senat sind öffentlich nicht bekannt, über den Inhalt wurde eine Verschwiegenheitsklausel vereinbart.30 Der Vertrag konnte nur im Datenraum des Berliner Abgeordnetenhauses von befugten Abgeordneten eingesehen werden.
Die Eröffnung ihres Kalayci-Memorial-Projekts feierte die Senatorin am 11. Mai mit großem Staat im Beisein von mehr als 100 Reportern, Fotografen, Kameraleuten, Abgeordneten und geladenen Gästen wie der Wehrbeauftragten und Berliner Bundestagsabgeordneten Eva Högl nebst einem General der Bundeswehr, deren 2. Kompanie des Wachbataillons beim Aufbau geholfen hatte.
In den Berliner Krankenhäusern belegten an diesem Tag 412 Corona-Patienten 1,82 % der Betten.31
Drei Tage später, am 14. Mai, besuchte auch Bundespräsident Steinmeier das Berliner Vorzeigeobjekt, von dem der Regierende Bürgermeister überzeugt war, andere Städte hätten auch gerne eine solche Klinik-Reserve.32 An diesem Tag belegten 282 Personen mit einem positiv bestätigten Corona-Befund 1,19 % der Betten in den Berliner Kliniken.33
Obwohl der Geschäftsführung von Vivantes die gesamte medizinische und logistische Verantwortung für den Betrieb des Zentrums übergeholfen worden war, war ihre Anwesenheit beim Besuch des Bundespräsidenten unerwünscht. Bereits auf dem Weg zum Besuchstermin war sie wieder ausgeladen worden.
Begründet wurde die Ausladung im Nachhinein damit, Senatorin Kalayci habe den Termin wegen einer zeitgleich stattfindenden Plenarsitzung nicht wahrnehmen können, und da der Fokus bei diesem Besuch ohnehin auf der Würdigung des Projektleiters und seiner Mitarbeiter liegen sollte, wäre in der Planung des Termins aus protokollarischen Gründen gegen die Anwesenheit aller Verantwortlichen des Landes entschieden worden.34
Warum die Vivantes-Geschäftsführung darüber nicht im Vorhinein informiert werden konnte, bleibt das Geheimnis der Senatsverwaltung. Im protokollarischen Ablaufprogramm des Besuchs war zwar auch ein Gespräch mit „medizinischem Fachpersonal“ vorgesehen,35wer dieses Gespräch dann in Abwesenheit der medizinisch Verantwortlichen geführt hat, bleibt auch bei Nachfrage offen.36
Möglicherweise stand die Ausladung im Zusammenhang mit der Kritik der Vivantes-Chefin Andrea Grebe, die in ihrem Statement bei der Eröffnungsveranstaltung am 11. Mai zwischen den Zeilen im Beisein der Senatorin verhalten Kritik an deren Renommier-Projekt geübt hatte, indem sie betonte, die Patienten-Behandlung in der Halle sei ohnehin „zweite Wahl“. Es sei zwar „höchster technischer Standard“ erreicht worden, aber dennoch bleibe es eine Messehalle, der gänzlich die notwendige klinische Anbindung fehle.37
Im internen „Lagebericht des Krisenstabes der SenGPG zum Coronavirus Disease-19 (Covid-19)”, der täglich als VS – Nur für den Dienstgebrauch herausgegeben wurde, heißt es, das CBZJ sei am 11. Mai „in Betrieb genommen worden“. In Halle 26 sei der erste Behandlungsbereich mit zunächst ca. 500 Betten fertiggestellt. Insgesamt würden bis zu 1.000 Reservebetten bereitstehen.38
Tatsächlich verfügte das Behandlungszentrum in Halle 26 am 31.07.2020 über eine maximale Kapazität von 488 Betten.39 Ordnungsbehördlich genehmigt und funktionsfähig waren davon bis Dezember 2020 allerdings nur 84.40
28 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 19/18439, S.4
29 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 18/24410, S.1
30 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 18/24410, S.2
31 Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung, Pressemitteilung vom 12.5.2020, S.1
32 Tagesspiegel vom 25.5.2020: Interview mit Michael Müller
33 Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung, Pressemitteilung vom 14.5.2020, S.1
34 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 19/20230, S.2
35 Der Bundespräsident – Termine Donnerstag, 14.5.2020 11:00 Uhr: Besichtigung des temporären Corona-Behandlungszentrums
36 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 19/20230, S.2
37 Berliner Zeitung vom 11-05-2020: “Ein Krankenhaus für 43 Millionen Euro, das vielleicht leer bleibt.“
38 Lagebericht des Krisenstabes der SenGPG zum Coronavirus Disease.-19 (Covid-19) vom 15.5.2020, S.5
39 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 19/19561, S.2
40 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 18/25711, S.2
Ein Krankenhaus ohne Personal – und der Glaube, freiwillige Rentner würden es schon richten.
Parallel zu den Arbeiten in der Halle 26 waren auch schon die Bauvorbereitungen für die benachbarte Messe-Halle 25 angelaufen. Durch den zusätzlichen Ausbau dieser Halle sollte die Bettenkapazität des CBZJ um weitere 320 Behandlungsplätze erweitert werden.41 Aus baulogistischen Gründen musste ein Teil der dafür notwendigen Baumaßnahmen durchgeführt sein, bevor die Halle 26 in Betrieb ging, weil sie ansonsten durch die Blockade von Zugangs-, Logistik- und Rettungswegen unweigerlich zu einer Einschränkung der Nutzungsfähigkeit der benachbarten Halle 26 geführt hätten.42
Für den Ausbau lag bereits ein detaillierter Ablaufplan vor. Danach sollte mit der Vorrüstung der Halle am 20. Juli 2020 begonnen werden. Für den 2. November war die Abnahme des Baus geplant und am 15. November sollte die Inbetriebnahme erfolgen.43
Da die Halle 25 fast doppelt so hoch war wie die Halle 26, gestaltete sich der Ausbau hier schwieriger. Besonders die jeweils 4–5 m langen Traversen als Träger der technischen Infrastruktur waren ein Problem. Sie mussten über Schwerlasttransporte unmittelbar an die Halle angeliefert werden.
Notwendigerweise vorweg durchgeführt werden mussten aber auch andere Arbeiten wie das Herstellen der Grundleitungen für Wasser und Abwasser, das Bereitstellen eines Notstromaggregats, der Anschluss der Elektro- bzw. Fernmeldetechnik für die Halle im Allgemeinen und die Bettenplätze im Besonderen, das Herstellen der medizinischen Gasversorgung, die Bereitstellung des Gastanks, das Erstellen des Gasnetzes sowie der entsprechende Druckversuch und letztlich die hygienische Ertüchtigung der raumlufttechnischen Anlagen in Absprache mit dem zuständigen Gesundheitsamt.44
Die Kosten für diese Maßnahmen, die aufgrund der infrastrukturellen Gegebenheiten unabdingbar durchgeführt sein mussten, bevor die Halle 26 in Betrieb genommen wurde, betrugen rund 6,495 Mio. Euro.45 Ein Teilbetrag von 3.927.031,96 Euro war bereits vorweg bewilligt worden.46
Als Kostenrahmen für den Komplettausbau der Halle 25 wurden von der Senatsverwaltung für Gesundheit 14,986 Mio. Euro ermittelt.47Ob diese Mittel tatsächlich ausgereicht hätten, ist zweifelhaft. Laut Klinikbau-Koordinator Albrecht Broemme wäre in der Halle eine Asbest-Sanierung nötig geworden.48 Die aber ist in den Planungen nirgendwo erwähnt.
Bereits unmittelbar nach der Entscheidung des Senats, die Messe-Klinik zu errichten, war die verantwortliche Senatorin zu dem Problem befragt worden, mit welchem Personal ein solches Behandlungszentrum betrieben werden sollte.
Kalayci versicherte stets, es werde keinesfalls Pflegepersonal aus anderen Kliniken abgezogen. Der Betrieb könne mit externen Kräften gewährleistet werden.
Auch in der offiziellen Projektinformation vom 15. April 2020, die zum Briefing der Medien ausgereicht wurde, ist explizit festgehalten, dass für das medizinische Personal des Behandlungszentrums keine Kräfte aus den Berliner Krankenhäusern abgezogen werden sollen. Man hoffe auf das Engagement der Berlinerinnen und Berliner – insbesondere auf pensionierte Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte in der Auszeit und Studierende.49
Klinikkoordinator Broemme erklärte im Tagesspiegel, man werde auch mit Hilfe der Medien frühere Pflegekräfte dazu aufrufen, wieder in der Pflege zu arbeiten. Viele seien in Rente, aber fit, andere seien derzeit in anderen Jobs aktiv. Die Frage wäre auch, was kann die Bundeswehr an Personal stellen. Der Wille zur Hilfe sei unter den Berlinern jedenfalls da, verkündete er optimistisch.50
„Ich weiß von der Bereitschaft in breiten Teilen der Bevölkerung, hier zu helfen. Mehrere Ruheständler haben sich bereits gemeldet.“51 Lösungen müssten auch für Medizinstudenten höherer Semester her, etwa dass die Arbeit in diesem Krankenhaus als Praktikum anerkannt und gleichzeitig bezahlt wird. „Dann werden die Studenten Schlange stehen“, glaubte Broemme.52 Drei Tage zuvor hatte er noch fabuliert, Letztere könnten möglicherweise auch auf der Basis des Infektionsschutzgesetzes zu Diensten in der Klinik herangezogen werden.53
41 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 19/19561, S.2
42 Abgeordnetenhaus von Berlin, Rote Nummer h18/2810 AJ, S.2
43 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 18/24135, Anlage I
44 Abgeordnetenhaus von Berlin, Rote Nummer h18/2810 AJ, S.2
45 Abgeordnetenhaus von Berlin, Rote Nummer h18/2810 AJ, S.3
46 Abgeordnetenhaus von Berlin, Rote Nummer h18/2810 AJ, S.1
47 Abgeordnetenhaus von Berlin, Rote Nummer h18/2810 AJ, S.3
48 Berliner Zeitung vom 6.7.2020: „Corona-Krankenhaus auf dem Berliner Messegelände: 488 Betten und kein Patient“
49 Tagesspiegel vom 20.3.2020: „Berlins Kampf gegen das Coronavirus Covid-„-Klinik benötigt 800 Mitarbeiter“
50 Tagesspiegel vom 19.3.2020: „1000-Betten-Klinik in nur drei Wochen“
51 TAZ vom 23.3.2020: „Tausend Betten für den Ernstfall“
52 TAZ vom 23.3.2020: „Tausend Betten für den Ernstfall“
53 Tagesspiegel vom 20.3.2020: „Berlins Kampf gegen das Coronavirus Covid-„-Klinik benötigt 800 Mitarbeiter“
„Hundert Stellen auf dem Papier, aber kaum jemand kam. Ein millionenteures Symbol für eine Politik, die lieber Schlagzeilen produzierte als Lösungen.“
Personal gesucht – aber keiner kommt
Hunderte Stellen geplant, Dutzende gemeldet: Die Berliner Notklinik scheitert am Menschen.
Der theoretische Personalbedarf bei einer Vollbelegung wurde für die Halle 26 mit 380 Pflegekräften, 83 Ärztinnen oder Ärzten, 45 Kräften für Administration und Logistik sowie 127 sonstigen Unterstützern angegeben. Für den zusätzlichen Betrieb der Halle 25 wären noch einmal 116 Pflegekräfte, 7 Ärzte, 20 Kräfte für Administration und Logistik, 58 sonstige Unterstützer und 29 Therapeutinnen und Therapeuten benötigt worden.54
An anderer Stelle wird der Bedarf an Ärztinnen bzw. Ärzten mit ungefähr 100 angegeben, von denen ca. 25 % eine Facharztausbildung haben sollten.55 Für die genannte Behandlungskapazität von ca. 300 Betten, die in der Halle 26 realisiert werden können, würden zudem ca. 270 examinierte Pflegekräfte und ungefähr 230 Pflegekräfte mit Helferqualifikation benötigt.56
Zu keinem Zeitpunkt konnte dieser Bedarf auch nur annähernd gedeckt werden. Zwar hatte der damalige Präsident der Berliner Ärztekammer, Günter Jonitz, bei der Eröffnung der Halle 26 zuversichtlich verkündet, an Medizinern werde es nicht mangeln,57 doch trotz wiederholter öffentlicher Aufrufe über die verschiedensten Kanäle, sich für einen sogenannten „Krisenpersonalpool“58 zur Verfügung zu stellen, war die Reaktion eher mager.
Auch die Webseite www.coronazentrum-berlin.de, die vor allem aus Aufrufen an die Angehörigen der diversen medizinischen Berufsgruppen bestand, sich als „Corona-HelferIn“ zu bewerben, fand nicht die erwartete Resonanz. Trotz der eigens dafür eingerichteten Online-Plattform www.cbzj.de blieb der Erfolg bescheiden.
Kontraproduktiv war bei diesen Aufrufen sicher auch, dass die Gesundheitssenatorin am 23. März in einer Sitzung des Gesundheitsausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses öffentlich gefordert hatte, es sei jetzt der richtige Zeitpunkt, ältere Menschen allesamt vorsorglich in Quarantäne zu nehmen: „Alle über 70-Jährigen in Quarantäne. Das ist das Einzige, was wirklich hilft. Einfach in Quarantäne nehmen.“59
54 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 19/18439, S.6
55 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 18/23126, S.2
56 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 18/23126, S.3
57 Tagesspiegel vom 11.5.2020
58 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 18/24228, S.2
59 Tagesspiegel vom 27.3.2020: „Abstand oder Aufstand: SPD-Frauen protestieren gegen Ausgangsbeschränkungen für ältere Menschen“
Gesagt: Kein Klinikpersonal wird abgezogen Getan: Kernteam aus genau diesem Personal
Für einen sogenannten „Krisenpersonalpool“, über den über das CBZJ hinaus Fachkräfte angesprochen werden sollten, die aus verschiedenen individuellen Gründen aktuell nicht oder nur teilweise dem ersten Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, sich aber ein Engagement in der aktuellen Krise vorstellen können, hatten sich bis zum 3. August 2020 insgesamt 22 Personen für eine Tätigkeit registrieren lassen.
Darunter waren eine Altenpflegekraft, eine Krankenpflegekraft mit Intensivpflegeerfahrung und eine weitere Krankenpflegekraft ohne Intensivpflegeerfahrung. Dazu kamen zwei medizinische Fachangestellte, zwei Pflege-Studierende, zwei Studierende der Medizin sowie ein(e) Physiotherapeut/in. Ärzte hatten sich nicht gemeldet.60
Bis zum 8. Dezember 2020 war die Zahl des registrierten medizinischen Personals auf 113 angestiegen. Darunter: 29 Ärztinnen und Ärzte, davon 7 mit Erfahrung in der Intensivmedizin, 43 Krankenpflegekräfte, davon 16 mit Intensivpflegeerfahrung, neun Personen aus der Altenpflege, drei Pflege-Studierende, vier Studierende der Medizin. Die Zahl der medizinischen Fachangestellten hatte sich auf 11 erhöht, die Zahl der Physiotherapeuten auf sechs. Dazugekommen waren zudem acht Pflegehelferinnen und -helfer, von denen fünf einen Pflegebasiskurs absolviert hatten und drei eine einjährige Ausbildung.61
Diese Zahlen verdeutlichen, dass nicht einmal durch den Rückgriff auf diesen eigentlich für andere Einrichtungen gedachten „Krisenpersonalpool“ ausreichend Personal zur Verfügung gestanden hätte, einen regulären Betrieb des Corona-Behandlungszentrums zu gewährleisten.
Aufgrund der ausbleibenden Unterstützung musste deshalb das Personalkonzept im Laufe des Sommers 2020 dahin geändert werden, dass nun für eine kurzfristige Betriebsaufnahme (Zielstellung innerhalb von 7 Tagen) ein sogenanntes „Kernteam“ gebildet wurde. Dieses Kernteam setzte sich im Wesentlichen aus Vivantes-Pflegekräften zusammen.62
Auf die Nachfrage, wie die Bildung eines solchen „Kernteams“ sich mit der mehrfachen Zusicherung der Senatorin vereinbaren lasse, kein medizinisches Personal aus den Berliner Kliniken für den Betrieb des Corona-Behandlungszentrums heranzuziehen, antwortete der Senat, die dynamischen Entwicklungen in der ersten Phase der Pandemie hätten es notwendig gemacht, ein solches Kernteam zu bilden, damit zu jeder Zeit eine kurzfristige Betriebsaufnahme gewährleistet werden konnte. Diese Stabilität in der Verfügbarkeit sei nur mit Vivantes-Personal zu erreichen gewesen.63
60 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 18/24228, S.1
61 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 18/25613, S.3
62 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 19/19561, S.3
63 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 19/19561, S.4
Leere Hallen, volle Kassen
Während die Klinik leer stand, liefen die Millionen weiter.
Ganz offensichtlich das verklausulierte Eingeständnis des personellen Desasters. Es gab von Anfang an kein schlüssiges Personalkonzept. Zu keinem Zeitpunkt hätte der veranschlagte Personalbedarf der Messe-Klinik auch nur annähernd mit externen Kräften gedeckt werden können.
Auch der weitere Verlauf der Pandemie lieferte dem Senat keine sachliche Begründung für seine „Überlaufklinik“. Im Gegenteil: Berlins Krankenhäuser standen mitten in der Pandemie halb leer.64 Am Tag mit der höchsten Auslastung der Berliner Krankenhäuser durch Corona-Patienten – das war der 29. Dezember 2020 – befanden sich 1.773 Patienten mit positivem Corona-Nachweis in stationärer Behandlung und belegten 7,53 % der laut Krankenhausplan vorhandenen Betten.
In seinem tumben Übereifer, mit dem offenbar das „aktive Krisenhandeln des Staates“ im Sinne des bekanntgewordenen Strategiepapiers des Bundesinnenministeriums65 demonstriert werden sollte, wurden Millionen Euro für ein Behandlungszentrum aus dem Fenster geworfen, das niemand brauchte.
Und niemand protestierte. Nahezu ohne jede kritische Debatte wurden die Gelder im Berliner Abgeordnetenhaus durchgewunken. Die Abgeordneten der Linken im Hauptausschuss verhielten sich wie die Lemminge.
Plötzlich war das Geld da, das den Berliner Krankenhäusern seit Jahren vorenthalten wurde. Deren Geschäftsführungen dürften vor Wut geschäumt haben.
Auf 2,1 Mrd. € bezifferte die Berliner Krankenhausgesellschaft den aufgelaufenen Fehlbedarf ihrer Häuser im Jahre 2019.66 Allein für das Jahr 2020 fehlten den Berliner Kliniken rund 350 Mio. €.67
Für die Klinik-Attrappe aber war jedes Geld vorhanden.
64 Berliner Morgenpost vom 5.5.2020: „Berlins Krankenhäuser nur zur Hälfte belegt“
65 VS-Für den Dienstgebrauch „Wie wir Covid-19 unter Kontrolle bekommen“, Strategiepapier des Bundesinnenministeriums, März 2020; https://fragdenstaat.de/dokumente/4123-wie-wir-covid-19-unter-kontrolle-bekommen/
66 Investitionsbedarf der Krankenhäuser in Berlin 2020-2030, Berliner Krankenhausgesellschaft, Berlin 2019, S.5
67 Berliner Krankenhausgesellschaft, Pressemitteilung vom 23.5.2019, S.4
Für den 1. Bauabschnitt wurden Baukosten in Höhe von ca. 31,25 Mio. € im 1. Nachtragshaushalt 2020 veranschlagt. Zusätzlich waren dort 25 Mio. € für die medizinisch-technische Ausstattung beider Hallen eingeplant.68
Zur Kompensation der Betriebskosten und für die Nutzungsüberlassung durch die landeseigene Messe Berlin GmbH wurde ein Betrag von 20.988.100 € eingestellt.69 Für die Hallennutzung war gemäß vertraglicher Regelung über die gesamte Mietzeit von Mitte April 2020 bis Oktober 202170 eine Nutzungsgebühr von monatlich 1.190.000 € fällig.71
Die laufenden Ausgaben, die die Senatsverwaltung für Gesundheit darüber hinaus an die Messe Berlin für die anfallenden Nebenkosten und das Facility Management der Hallen zu erstatten hatte, lagen pro Monat zwischen 200.000 und 300.000 €.72
Allein für den Oktober und den November 2020 verursachte die leerstehende Klinik Kosten von jeweils 1.525.000 €.73
Für den Vorhaltebetrieb erhielt der Betreiber Vivantes, dem der Betrieb ohne vorherige Abstimmung übergeholfen worden war, für die Jahre 2020 und 2021 insgesamt 13.395.149,25 €.74
Dazu kamen die Personalkosten für die „Unterstützerinnen und Unterstützer“, die sich freiwillig für einen Einsatz in der Behelfsklinik gemeldet hatten. Sie waren von Vivantes mit einem „Vertrag auf Abruf“ eingestellt worden und befanden sich nach ihrer Anstellung in der sogenannten „Stand-by-Phase“.
In dieser Stand-by-Phase konnten sie zeitweise zu Schulungszwecken abgerufen werden, zum Einsatz aber würden sie nur dann kommen, wenn sie auch tatsächlich benötigt und durch das Behandlungszentrum zum Dienst abgerufen würden.
Für die Dauer der Stand-by-Phase erhielten alle eine monatliche Grundvergütung für 13 Arbeitsstunden auf Basis der jeweils im Vertrag vereinbarten Eingruppierung und des entsprechenden Stundensatzes.
Insgesamt beliefen sich die Personalkosten für das „Kernteam“, die Verwaltung und die auf Abruf Beschäftigten in den Jahren 2020 und 2021 auf 1.285.475,79 €.75
68 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 18/24135, S.3
69 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 18/24135, S.3
70 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 19/20923, S.2
71 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 18/27477, S.1
72 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 19/20720, S.2
73 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 18/25711, S.3
74 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 18/27477, S.2
75 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 19/20726, S.3
Politisches Versagen ohne Konsequenzen
Was bleibt? Ein teures Mahnmal für Symbolpolitik statt Substanz.
Geplant war ursprünglich, dass die Abbauarbeiten des ungenutzten Renommierprojekts am 30. November 2020 beginnen sollten. Am 31. Dezember wäre dann die Rückgabe an die Messe erfolgt.
Auf Basis der jetzt vorliegenden Erkenntnisse werde das Corona-Krankenhaus auf dem Messegelände nicht benötigt, erklärte der UVB-Hauptgeschäftsführer Christian Amsinck im Tagesspiegel vom 6. Juli 2020. Alles deute darauf hin, dass das Berliner Gesundheitssystem gut aufgestellt sei, assistierte ihm die Berliner IHK-Präsidentin Beatrice Kramm.
Die IHK empfahl dem Senat, das temporäre Krankenhaus bis Ende des Jahres abzubauen und das Messegelände wieder für Messen und Kongresse zur Verfügung zu stellen. Alles andere hätte fatale Auswirkungen auf die Großmessen im nächsten Frühjahr – nicht nur für die InnoTrans, sondern auch für die Tourismusmesse ITB und die Grüne Woche.
Es drohe ansonsten weiterer Schaden für Unternehmer und Arbeitnehmer, der finanziell nicht mehr aufzufangen sei. Im Jahr 2018 hätten Messen und Kongresse in Berlin 2,6 Milliarden Euro Umsatz und 330 Millionen Euro Steuereinnahmen generiert sowie 44.000 Arbeitsplätze gesichert.76
Doch das Nutzungsende wurde mit fadenscheiniger Begründung zunächst auf den 31. Mai 2021 verschoben.77
Zwar hatte man mittlerweile eingestehen müssen, dass die sogenannte erste Welle der Corona-Pandemie wesentlich geringer als befürchtet ausgefallen war und dass die für Corona-Patientinnen und -Patienten bereitgehaltenen Behandlungskapazitäten in den Krankenhäusern ungenutzt geblieben waren, dennoch blieb das Potemkin’sche Dorf als pandemische Mahn- und Trutzburg stehen.78
Mit der trotzig-redundanten Begründung, angesichts des Infektionsgeschehens sei nicht die Zeit, darüber nachzudenken, das Corona-Behandlungszentrum abzubauen, wurde das Nutzungsende der Phantomklinik auf den 31. Mai 2021 verschoben und der Leerstand damit perpetuiert.79
Erst ab September 2021 erfolgte schließlich der Rückbau der Hallen. Laut Berliner Morgenpost sollen dafür rund 14 Mio. € veranschlagt worden sein.80 Der Senat verweigerte zunächst die Antwort auf die Frage nach den Kosten und verwies darauf, die Rückbaukosten seien nicht ermittelt worden, da der Rückbau von der Messe Berlin GmbH in ihrer Bauherreneigenschaft mit ihren Vertragsunternehmen durchgeführt worden sei.81
76 Tagesspiegel vom 6.7.2020: “Berliner Wirtschaft macht sich für die Messe stark“
77 Ärztezeitung vom 12.11.2020: „Senat will Laufzeit des Corona-Behandlungszentrums verlängern“
78 Abgeordnetenhaus von Berlin, Rote Nummer 2810 AI, S.10
79 Zeit-online vom 10.11.2020: „Notkrankenhaus auf Messegelände soll bis Frühjahr bleiben“
80 siehe: Berliner Morgenpost vom 21.5.2021
81 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 19/19641, S.2
Auf eine weitere Nachfrage nach den tatsächlichen Kosten antwortete schließlich die für die Messe Berlin GmbH zuständige Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe, das mit dem Rückbau beauftragte Architektenbüro habe dafür insgesamt 1.670.000 € abgerechnet. Diese Summe sei der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung von der Messe Berlin in Rechnung gestellt worden.82
Allein bis zum 31.12.2020 schätzte der Senat die voraussichtlichen Gesamtkosten der provisorischen Klinik in der Messehalle auf voraussichtlich 40,2 Mio. €.83
Bundespräsident Steinmeier hatte in seiner Rede bei der Besichtigung der Klinik gesagt, er hoffe, „…dass wir diesen kritischen Austausch weiterhin so führen, dass Tatsachen und Fakten nicht ignoriert werden, und dass wir uns mit Vernunft aus der gegenwärtigen Situation befreien“.84 Frank-Walter Steinmeier sagte diese Worte in Bezug auf grassierende Verschwörungstheorien.
Er hätte diese genauso gut in Richtung des Berliner Senats sagen können, der in der Tat Tatsachen und Fakten ignorierte, als er dieses Potemkin’sche Dorf errichten ließ.
Hatten sich bei der Einweihung noch alle stolz fotografieren lassen, beim peinlichen Abbau war keiner dabei.
Konsequenzen wurden aus der mehr als 90 Mio. € teuren Narretei keine gezogen. Die Forderung, den Berliner Krankenhäusern das Geld zur Verfügung zu stellen, sich in den eigenen Strukturen pandemiefest zu machen, bleibt ungehört.
Den Kliniken fehlen nach wie vor die notwendigen Mittel, sich durch einfache Maßnahmen wie den Einbau von Schleusen und Trennwänden sowie zusätzlichen Beatmungsanschlüssen in den Zimmern dauerhaft pandemiefest zu machen.
Im laufenden Landeshaushalt für die Jahre 2024/2025 waren keinerlei Gelder dafür vorgesehen.
Auf die Anfrage, warum auch im nächsten Doppelhaushalt keine entsprechenden Mittel bereitgestellt werden, verweigert der Berliner Senat die Auskunft.85 Die lapidare Begründung: „Maßnahmen zur Erhöhung der Resilienz einzelner Krankenhäuser“ lägen in der Verantwortung der jeweiligen Krankenhäuser.
Auf die Nachfrage, ob man im Falle einer erneuten Pandemie dann wieder auf eine solche „Phantomklinik“ zurückgreifen würde, reagiert die zuständige Senatsverwaltung trotzig: Der Begriff „Phantomklinik“ sei ihr nicht bekannt.
82 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 19/20923, S.2
83 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS 18/25464, S.3
84 Tagesspiegel vom 15.5.2020: „Ein paar Abnahmen und Genehmigungen stehen noch aus“
85 Abgeordnetenhaus von Berlin, DS DS 19/20375, S. 2